Veranstaltung: | Herbst-Landesmitgliederversammlung in Magdeburg |
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Tagesordnungspunkt: | 2.2. Verschiedene Anträge |
Antragsteller*in: | Landesvorstand (dort beschlossen am: 05.11.2022) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 21.11.2022, 13:58 |
Antragshistorie: | Version 1 |
A3NEU: Update Ausbildung - Gleichwertig, Gerecht, Zeitgemäß
Antragstext
Als GRÜNE JUGEND Sachsen-Anhalt fordern wir eine gleichwertige, gerechte und
zeitgemäße Ausbildung. Das beinhaltet konkret:
1. Die Einführung einer umlagefinanzierten Ausbildungsplatzgarantie.
Es muss gesetzlich verankert werden, dass jeder junge Mensch das Recht auf einen
Ausbildungsplatz hat. Dies bedeutet u.a., dass Hürden wie die Feststellung der
sogenannten Ausbildungsreife bei potenziellen Bewerber*innen durch Bundesagentur
für Arbeit abgeschafft werden. Damit die Ausbildungsplatzgarantie praktisch
ausreichend betriebliche Ausbildungsplätze schafft, muss sie mit einer
Umlagefinanzierung verbunden werden.
Alle Betriebe müssen hierzu in einen Zukunftsfonds einzahlen. Die Mittel aus dem
Fonds werden für drei Säulen der Ausbildungsplatzschaffung genutzt. Einerseits
erhalten ausbildende Betriebe als Anreiz Mittel aus dem Fonds zurück. Des
Weiteren werden die Mittel genutzt, um das Netz und die Qualität
überbetrieblicher Ausbildungszentren zu verbessern. Außerdem werden die Mittel
aus dem Fonds genutzt, um außerbetriebliche Ausbildungen dort zu ermöglichen, wo
trotz aller Bemühungen keine betrieblichen Ausbildungsplätze geschaffen werden
konnten.
2. Die garantierte Übernahme nach der Ausbildung.
Auszubildende verdienen eine klare Perspektive für die Zukunft nach der
Ausbildung. Deshalb muss auch die unbefristete Übernahme in den Betrieb, in dem
die Ausbildung abgeschlossen wurde, garantiert werden – ohne Wenn und Aber.
Um mit gutem Vorbild voranzugehen, muss das Land Sachsen-Anhalt eine solche
Regelung für alle Auszubildenden im öffentlichen Dienst schaffen. Zudem muss die
Vergabe öffentlicher Aufträge daran gekoppelt sein, dass die entsprechenden
Unternehmen unbefristete Übernahmeregeln für ihre Auszubildenden entweder im
Tarifvertrag oder ggf. per Betriebsvereinbarung gewährleisten.
3. Die Schaffung einer Gleichwertigkeit von Studium und Ausbildung.
Studium und Ausbildung sind zwei unterschiedliche und doch gleichwertige
Lebenswege. Das muss auch außerhalb politischer Reden Realität werden und so
z.B. auch in Berufsorientierungsformaten an Schulen klar rüberkommen und sich in
echter Wertschätzung für Ausbildungsberufe niederschlagen.
Erasmus ist für viele Studierenden fest im Studium verankert. Doch auch Azubis
haben ein Recht darauf. Die Landesregierung soll Hürden für Azubis und Betriebe
abbauen und Informationsangebote abbauen.
4. Die ökonomische Situation von jungen Menschen in Ausbildung zu verbessern.
Auch Menschen in Ausbildung steht ein Leben in Würde und mit finanzieller
Sicherheit zu. Gerade in Zeiten von Preisexplosion und unstemmbaren Heizkosten.
Für viele schulische Ausbildungen wird teilweise gar keine Vergütung bezahlt
oder es muss sogar noch Schulgeld entrichtet werden. In Sachsen-Anhalt muss
darum eine grundsätzliche Schulgeldfreiheit für alle Ausbildungsarten festgelegt
werden. Stattdessen braucht es BAföG-Anspruch für alle in der schulischen
Ausbildung. Die Mindestausbildungsvergütung muss an das BAföG angepasst werden.
Selbstverständlich muss die Höhe des BAföGs grundsätzlich existenzsichernd sein.
Das beinhaltet neben einer deutlichen Erhöhung und einer Unabhängigkeit vom
Elternhaus auch einen akuten Inflationsausgleich.
Es muss sichergestellt werden, dass alle Auszubildenden, egal welcher
Ausbildungsordnung sie unterliegen, eine Vergütung gezahlt wird, die die Höhe
der Mindestauszubildendenvergütung nicht unterschreitet. Ausbildungsvergütungen
müssen tariflich gebunden sein.
Das erfolgreiche Pilotprojekt der Praxisintegrierten Ausbildung (PIA) im
Erziehungswesen muss verstetigt und ausgeweitet werden, statt es auslaufen zu
lassen. Das PIA-Modell ist stattdessen auch auf andere bisher rein schulischen
Ausbildungsgängen wie z.B. Ergo- oder Physiotherapie auszuweiten.
In der Umsetzung dieser Forderungen muss das Land Sachsen-Anhalt als ersten
Schritt seiner besonderen Verantwortung nachkommen und bei der Vergabe
öffentlicher Aufträge neben der Übernahmegarantie und der Ausbildungstätigkeit
des Betriebs auch tarifliche Ausbildungsvergütung fordern.
5. Die Erreichbarkeit der Ausbildungsstätten zu verbessern.
Anfahrtswege zur Berufsschule müssen für Auszubildende kostenneutral und
zeitsparend sein. Ein kostenloses Azubiticket in Verbindung mit einem eng
getakteten ÖPNV schont das meiste knappe Budget der Auszubildenden und sorgt für
wirklich erholsame Freizeit statt langer Pendelei.
Wo eine Wohnheimunterbringung aufgrund zu langer Wege zur Berufsschule nötig
ist, muss ein kostenloser Wohnheimplatz für alle Berufsschüler*innen zur
Verfügung gestellt.
6. Diskriminierung in der Ausbildung konsequent zu bekämpfen.
Leider gibt es Ausbildungsbetriebe, die kein sicherer Lernort für FLINTA*s
(Frauen, inter, nicht-binär, trans, agender), queere Menschen, behinderte
Menschen, BIPoC (Schwarz, Indigene, People of Color: Selbstbezeichnung für von
Rassismus betroffenen Personen) und anderen diskriminierte Gruppen sind. Deshalb
fordern wir mehr Beratungs- und Unterstützungsangebote für Betroffene,
Vernetzungsangebote sowie Fortbildungs- bzw. Sensibilisierungsangebote in den
Betrieben.
Die Förderung der betrieblichen Mitbestimmung durch die Gründung von
Betriebsräten und Jugend- und Auszubildendenvertretungen ist hier zusätzliches
Instrument, um Diskriminierung wirksam zu bekämpfen. Versuche, die Arbeit von
Betriebsräten oder Jugend- und Auszubildendenvertretungen zu behindern, sind
konsequent zu sanktionieren.
Begründung
Das Interesse junger Menschen, v.a. an der dualen Berufsausbildung geht in Sachsen-Anhalt kontinuierlich zurück. So sank die Zahl bei der Bundesagentur für Arbeit registrierter Bewerber*innen von 2019 bis 2022 um über 15 % (vgl. 2019: 10.936; 2022: 9.258). Der oft beklagte Fachkräftemangel lässt sich weder durch teure Imagekampagnen noch durch ein Beschimpfen der Jugend lösen. Die Berufsausbildung muss darum für junge Menschen attraktiver werden.
In Sachsen-Anhalt gab es zum Stichtag des. 30.09. 2022 1.327 unbesetzte Ausbildungsstellen und letztendlich weniger Bewerber*innen als bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldete Stellen. Was oberflächlich betrachtet nach paradiesischen Zuständen für Ausbildungsinteressierte klingt, ist bei genauerer Betrachtung eine Anklage gegen die derzeitige Situation für junge Menschen. Trotz des vermeintlichen Ausbildungsplatzangebots sind von den bei 9.258 bei der Bundesagentur für Arbeit gemeldeten Bewerber*innen nur 5.242 in die duale Ausbildung eingemündet. Die restlichen stecken in Übergangsmaßnahmen, haben sich für andere Bildungsgänge entschieden, gehen ohne Ausbildung auf den Arbeitsmarkt oder stecken in der Arbeitslosigkeit. Die von der Bundesagentur für Arbeit für „nicht ausbildungsreif“ befundenen Jugendlichen tauchen in dieser Statistik erst gar nicht auf. Die Betriebe wünsche sich häufig bereits vor der Ausbildung gut qualifizierte Menschen, um möglichst wenig Aufwand mit der Ausbildungstätigkeit zu haben. Hier liegt ein Problem, warum junge ausbildungsinteressierte Menschen trotz des Angebotes auf dem Markt keine Ausbildungsplatz erhalten.
Zudem kaschiert der Überhang an unbesetzten Ausbildungsplätzen sogenannte „Matching-Probleme“. Nicht jeder Ausbildungsort – Betrieb, wie Berufsschule - ist für junge Menschen überhaupt in einem mit einem vertretbaren Aufwand zu erreichen. Eine Verbesserung des ÖPNV und kostenloser Nahverkehr für Azubis können hier Abhilfe schaffen.
Zudem entsprechen viele der angebotenen Stellen nicht der Interessenlage der Bewerber*innen. Wer gerne Tierpfler*in werden möchte, wird sich höchstwahrscheinlich nicht für eine Ausbildung als Fleischereifachverkäufer*in begeistern können. Junge Menschen brauchen Auswahlmöglichkeiten und Angebote, die ihren Neigungen entsprechende. Die Ausbildungsumlage kann mehr Betriebe motivieren, neue und mehr Ausbildungsplätze zu schaffen und damit auch das Angebot für junge Menschen zu vergrößern.
Dazu kommt, dass viele gemeldete Ausbildungsstellen zu recht von jungen Menschen als unattraktiv bis inakzeptabel angesehen werden. Die durchschnittliche Ausbildungsvergütung lag in Sachsen-Anhalt im Jahr 2020 bei 737 € brutto. Auch vor der hohen Inflation war dies eine Summe, von der junge Menschen nicht ansatzweise ein eigenes Leben finanzieren konnten, sondern auf Unterstützung durch die Eltern oder staatliche Ausbildungsbeihilfe angewiesen waren.
Ausbildungsfremde Tätigkeiten, regelmäßige Überstunden (28%), keine Übernahmeinformationen zum Ende der Ausbildung (34%), sowie Unzufriedenheit mit der Ausbildung im Allgemeinen (28 %) bilden ab, dass sich die Ausbildungssituation für junge Menschen verbessern muss. Dass viele Betriebe weniger an einer guten Ausbildung für ihre Azubis interessiert sind, sondern vielmehr an billigen und vermeintlich rechtlosen Arbeitskräften spricht sich logischerweise herum.
Die Tatsache, dass bei vielen schulischen Ausbildungen z.T. Schulgeld bezahlt werden muss, unentgeltliche Prakika absolviert werden müssen und überhaupt keine Ausbildungsvergütung gezahlt wird, sorgt auch hier für die Unattraktivität der Berufsfelder.
Der oft beklagte Fachkräftemangel ist folglich hausgemacht und von vielen Unternehmen und durch mangelhafte Ausbildungsordnungen selbst verschuldet. Mit den im Antrag vorgeschlafenen Instrumenten lässt sich der Fachkräftemangel bekämpfen und jungen Menschen eine Perspektive bieten.
Wir möchten der DBG-Jugend Sachsen-Anhalt ausdrücklich für die umfangreiche Unterstützung in der Ausarbeitung dieses Antrags danken. Bitte stimmt diesem Antrag zu - damit solidarisieren wir uns auch explizit mit den Forderungen von Gewerkschaften und Gewerkschaftsjugenden.
Änderungsanträge
- Ä1 (Luca Salis (LV Grüne Jugend Sachsen-Anhalt), Erledigt)
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